Automation, Smartness und Intelligenz – Interview mit Dr. Karin Vey
Was sind aus Deiner Sicht und nach mehr als 17 Jahren Innovations-Arbeit im IBM Research ThinkLab die drei wichtigsten Begriffe und wofür stehen sie?
«Co-Creation, Ökosystem, Nachhaltigkeit, radikale Kundenorientierung, experimenteller Ansatz
Innovative und nachhaltige Lösungen für die VUCA-Welt können nicht mehr alleine kreiert werden (VUCA steht für volatil, unsicher, komplex, vieldeutig). Sie entstehen zusammen mit Partnern innerhalb eines Oekosystems. Zentral sind dabei radikale Nutzerorientierung (z.B. mittels Design Thinking) und ein experimenteller Ansatz – also möglichst schnell etwas ausprobieren und mit dem Feedback der Nutzer den nächsten Entwicklungsschritt machen.»
Lebensräume prägen Menschen. Welche Rolle spielen Architektur- und Design-Entwicklung bei der Konzeption von künstlicher Intelligenz und in virtuellen Räumen?
«Künstliche Intelligenz wird zunehmend mehr Teil unserer Lebenswelt – am Arbeitsplatz oder z.B. als intelligentes Ambiente, das etwa chronisch kranken oder alten Menschen bei ihrer Lebensbewältigung hilft. Es stellt sich dabei vermehrt die Frage nach dem Interface-Design. Wie soll die KI aussehen, die uns unterstützen soll und mit der wir als Partner zusammenarbeiten wollen? Dabei spielen die Grundsätze guten Designs wie Schönheit, Einfachheit und Perfektion oder Form follows Emition ebenso eine Rolle wie psychologische Faktoren. Bei Robotern z.B. ist es wichtig, dass die Grösse keine falsche Erwartungshaltung erzeugt oder gar eine Bedrohung impliziert. Auch sollten sie etwa menschliche Merkmale aufweisen, aber keinesfalls Menschen imitieren. Manchmal wollen wir auch, dass die Technologie ganz in den Hintergrund tritt. Nichtsdestotrotz ist sie da und reagiert auf unsere Wünsche. Mittels Technologie erleben wir dann eine gewisse «Wiederverzauberung» der Welt. Wenn diese Welt aus Räumen zum Wohlfühlen, Agieren und Regenerieren besteht, wie sie von Latrace konzipiert werden, dann verspricht die neue hybride Welt, eine zu sein, die die menschlichen Bedürfnisse konsequent in den Mittelpunkt stellt.»
Wie stehst Du zu «Star Wars”, findest Du es innovativ und inspirierend oder zu weit weg von täglichen Realitäten?
«Star Wars ist eine postmoderne Adaption der grossen mythischen Erzählungen. Zentrale Archetypen wie der Held/die Heldin oder der alte Weise werden in einer Form repräsentiert, die eine Resonanz mit den heute lebenden Menschen erzeugt. Es geht um Themen, die die Menschheit schon seit Urzeiten beschäftigt haben: der Kampf zwischen Gut und Böse, die Beziehung von Vater und Sohn, das Verhältnis von Natur und Technik. Dazu kommt die Gratwanderung zwischen dem äusseren Weg des Kampfes und dem inneren und spirituellen Weg – und ein diverses Multiversum von Lebensformen. Ich kann die Faszination sehr gut nachvollziehen. Allerdings hätte ich mir mehr weibliche Protagonistinnen gewünscht.»
Wohin geht die Reise in Leadership, Innovation und Transformation aus Deiner Sicht und welche Rolle spielt der Mensch dabei?
«Zentral ist die Erkenntnis, dass in der heutigen hochkomplexen, vernetzten, vieldeutigen und unsicheren Welt ein hierarchisches Führungsverständnis als nicht mehr adäquat angesehen werden muss. Nur gemeinsam können wir Lösungen für diese Welt finden. Die Führungskraft wird zum Chief Enabling Officer. Auch vom Servant Leader wird gesprochen. Die FK schafft die Rahmenbedingungen wie z.B. psychologische Sicherheit für das Team, so dass dieses kreative und effektive Lösungen entwickeln kann. Im Zeitalter von KI ist Wissen nicht mehr Macht. Für FK geht es zunehmend mehr ums Zuhören, nicht ums Reden, ums Fragen stellen, statt Antworten zu geben. Emotionale Intelligenz und Selbstführung werden zentral.»
Braucht es neues Denken und / oder mehr Gefühl im Kontext von Kreativität und Talent bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz?
«Bei der Entwicklung von KI braucht es vor allem mehr Diversität. Es gilt, Entwicklerteams zu bilden mit Menschen aller Geschlechter, diverser Kulturen und sozio-ökonomischer Hintergründe. Dann werden die Lösungen ethisch belastbar sein und zu einer Zukunft beitragen, in der die 17 Nachhaltigkeitsziele der UNO umgesetzt werden.»
Es steht jetzt schon fest, dass das menschliche Denken und sein Gehirn nie mehr mit der Rechenleistung und Datengeschwindigkeit von Computern mithalten kann. Wie und was definiert Menschlichkeit und wie hält der Mensch diesen evolutionären «Rückschritt» aus?
«Rechenleistung ist nur ein Teil von kognitiver Intelligenz und diese nur ein Teil von der Vielfalt von Intelligenzen, über die wir als Menschen verfügen. Darüber hinaus leben wir als Menschen etwa soziale, emotionale, musische, körperbezogene und sogar spirituelle Intelligenz. Der Computer kann nur auf dem Feld der Kognition in gewissen Teilbereichen so gut oder besser sein als der Mensch. Alle anderen Arten von Intelligenz sind typisch menschlich. Letztendlich kann uns der Vergleich mit der Maschine ein evolutionärer Anreiz sein, unsere typisch menschlichen Kompetenzen besser zu verstehen und sie auf ein neues Niveau zu heben.»
Was liebst Du an und in der Schweiz? Lieblingsorte, Menschen, Regionen, Essen, …
«Über meine Wahlheimat gäbe es viel zu sagen. Ich will nur zwei Dinge herausgreifen.
Das C-G Jung-Institut in Küsnacht und die inspirierenden Menschen und Inhalte, die ich dort finde. Besonders faszinierend finde ich die Theorie der Individuation. Dass jeder Mensch einen Impuls in sich trägt, die/der zu werden, die/der man sein könnte und möglichst viele der eigenen Potenziale zu verwirklichen.
Das Tessin: der Lago Maggiore, Grotti, Filmfestspiele, der Monte Verita,… Hier wird der Traum des Südens für mich im Kontrast zur schroffen Bergwelt besonders eindrücklich erlebbar. Das Tessin ist seit Langem ein Lieblingsort.»
Dr. Karin Vey ist Psychologin und Coach in eigener Praxis in Zürich, Psychotherapeutin am C-G Jung Ambulatorium sowie Innovations- und Trendexpertin im ThinkLab der IBM-Forschung. Die promovierte Physikerin und Psychologin arbeitet dort mit Führungskräften und Experten an der Gestaltung der Zukunft. Sie ist eine gefragte Referentin und spricht zu Themen wie «Die Zukunft von Arbeit und Führung» oder »Resilienz – wie die eigene Widerstandskraft und die der Organisation erhöht werden kann». Sie leitet zudem Workshops, etwa zu den Themen «Resilienz stärken in turbulenten Zeiten», «Vision Quest» oder «Persönliche Entwicklung – Die kritische Kompetenz für Führungskräfte der Zukunft». Karin Vey unterrichtet an verschiedenen Schweizer Universitäten Leadership-Kurse. Als Coach begleitet sie Menschen mit Leidenschaft auf deren Entwicklungsweg. Positive Psychologie, Tiefenpsychologie und Hirnforschung bilden die Basis ihres Handelns.
Kontakt: karinvey@bluewin.ch
Spezielles Coachingangebot über Open Mind Academy