Kommunikation im Grenzbereich

Stephan Kloss ist diplomierter Journalist und Soziologe. Er untersucht Ursachen sowie Folgen von gesellschaftlichen Umbrüchen und studiert derzeit Psychologie online. Für das Fernsehen berichtete Stephan Kloss vom Balkan, aus dem Syrienkonflikt, dem Irakkrieg 2003, aus dem Nahen Osten, aus Afrika, Indien, Afghanistan, Pakistan, Sri Lanka und 30 aus weiteren Ländern.

Dein Thema sind Gesellschaften im Umbruch. Deine Reisen haben Dich in über 30 Jahren in mehr als 40 Länder geführt und Du sprichst 6 Sprachen: Deutsch, Englisch, Spanisch, Russisch, Hindi und Urdu. Welche Rolle spielt Kommunikation und was bedeutet Sprache für Dich in Deinem Beruf als Journalist und Auslandskorrespondent?

Kommunikation ist das, was ankommt. Sprache ist eine Grundvoraussetzung für Kommunikation. Also ist es naheliegend, die Sprache, so gut es geht, einer Region zu erlernen, in der man sich länger aufhält und vor allem, über die man berichtet. Mir war das sehr aufgefallen, als ich oft in Afghanistan war, manchmal wochenweise, manchmal einige Monate: Das Land mit seinen vielfältigen Menschen, ihren Bräuchen und Gedanken blieb mir doch irgendwie verschlossen. Später, als wir im benachbarten Pakistan wohnten, erlernte ich Urdu, das mit Hindi eng verwandt ist. Hindi hatte ich vorher in Indien gelernt, aber durch das Erlernen von Urdu begann ich erst, die Region zu verstehen, sozusagen die Seele der Menschen. Es war immer ein ganz anderes Miteinander, wenn die Menschen merkten, dass ich mich mit ihnen in ihrer Sprache verständigen konnte. Urdu wird auch in großen Teilen Afghanistans gesprochen, sodass auch dort dann eine Verständigung gut möglich war. Dadurch, dass man mit den Menschen in deren Sprache reden konnte, vertrauten sie mir viel mehr, so mein Eindruck, und sie erzählten ganz andere Geschichten. Ich hatte oft das Gefühl, dass der Effekt der sozialen Erwünschtheit schwächer war, dass die Menschen mir also nicht das erzählten, von dem sie annahmen, dass ich es hören möchte, weil ich ein Ausländer bin, sondern sie erzählten mir die Dinge so, als ob ich einer aus ihrem Dorf wäre. Daraus entwickelten sich sehr authentische Beiträge, zumal ich direkt mit den Protagonisten reden konnte, ohne Dolmetscher.

In meinem letzten Newsletter ging es um Lapislazuli – das «blaue Gold» Afghanistans. Du kennst das Land als Kriegsschauplatz und warst als Augenzeuge mitten drin. Was hast Du aus dieser Zeit mitgenommen? Woran bist Du am meisten gewachsen und was hat Dir Hoffnung und Mut gegeben, all dem zu begegnen?

Die wichtigste Erkenntnis aus meiner Zeit am Hindukusch, den ich seit 1997 bereise: es hat überhaupt keinen Sinn, ein Land und dessen Gesellschaft von außen verändern zu wollen. Das bringt nichts. Den Konsens, wie man miteinander leben möchte, das müssen die Menschen selber herausfinden. Und das können sie auch, sie sind dazu in der Lage. Dafür brauchen sie vielleicht sehr viel Zeit, aber es ist ihre Zeit. Denn es ist auch ihr Land, in dem sie seit tausenden Jahren leben. Am meisten gewachsen bin ich durch Wissenszuwachs auf persönlicher und beruflicher Ebene. All den Schwierigkeiten zu begegnen, dafür gibt es kein Rezept. Man sollte sich darauf einlassen können, ohne sich selbst zu vergessen. Beruflich sollte man immer eine sachliche Distanz halten zu einem Thema oder einem Protagonisten. In nicht wenigen Situationen muss man auch Mut haben, das stimmt. Aber das ist ein Grundinstinkt, den wir eigentlich auch alle besitzen, der aber bei manchem tief vergraben schlummert. Hoffnung muss man immer haben. Ohne sie können wir unser Tagewerk nicht verrichten.

Ich stelle mir vor, dass Du vielen Menschen begegnet bist und deren Schicksale, Träume und Wahrheiten erfahren, gefilmt und portraitiert hast. Welche Begegnung würdest Du als die prägendste bezeichnen und warum? Wie nah sind aus Deiner Sicht Vorbild-Charakter und menschliches Versagen?

Es gibt so viele ergreifende Begebenheiten, die ich in den vergangenen über 30 Jahren als Journalist erleben durfte. Sie alle haben mich als Mensch reich gemacht. Oft merkt man das erst viel später. Alle haben geprägt. Eindrucksvoll war, als ich 2005 eine Abgeordnete des afghanischen Parlaments interviewen wollte. Da sie sich kritisch zu einigen Warlords geäußert hatte, die auch im Parlament saßen, wurde sie mit dem Tode bedroht. Um sie zu interviewen, musste ich über Mittelsmänner und versteckt über mehrere Telefonate mit verschiedenen Telefonnummern durch halb Kabul fahren. Es war wie in einem James-Bond-Streifen. Schon damals war mir klar: Wenn sich eine gewählte Abgeordnete wegen Morddrohungen verstecken muss in einem Land, in dem wir als Westen Demokratie eingeführt bzw. verordnet haben, dann ist das Projekt gescheitert. Meine Vorahnung hat sich leider bewahrheitet. Nun zieht die NATO, also die westliche Staatengemeinschaft, ab. Und ist Afghanistan sicher und prosperierend? Auf keinen Fall. Die Hunderttausenden afghanischen Flüchtlinge, die nach 2015 nach Deutschland kamen, sprechen eine deutliche Sprache. Doch eine hoffnungsvolle Episode möchte ich noch erwähnen. 2010 durfte ich im Osten Afghanistans den ehemaligen Bundeswehrarzt Dr. Reinhard Erlös begleiten. Er und seine Familie bauen dort mit ihrer Organisation «Kinderhilfe Afghanistan», mitten im Talibangebiet, seit 2002 Schulen, vor allem für Mädchen. Es waren fantastische Tage, die ich erleben durfte. Weil Dr. Erlös bekannt und geachtet war, konnten wir uns frei bewegen, in lokaler Kleidung und in einheimischen Taxis. Man bekommt das wirkliche Afghanistan zu Gesicht: gastfreundliche, bescheidene und lebenskluge Menschen. Die Schulen – alles finanziert mit Privatspenden –, in die inzwischen Zehntausende Kinder gehen, sind der Keim für eine hoffnungsvollere Zukunft. Aber: es dauert eben und man braucht einen langen Atem. Den haben wir im Westen offenbar schon längst nicht mehr. Wenn es Probleme gibt, dann muss eine schnelle Lösung her. Wenn man krank ist, dann schnell eine Pille einwerfen. So funktioniert der Aufbau eines Landes nicht. Und deshalb verlassen die westlichen Staaten den Hindukusch eigentlich mit leeren Händen – meine Meinung.

Vorbilder-Charakter und menschliches Versagen liegen immer dicht beieinander. Vorbilder, die tun und reden weniger. Die kümmern sich um ihr soziales Umfeld. Dabei kann man auch scheitern. Versagen ist menschlich. Das ist nicht schlimm. Man sollte es nicht als Fehler ansehen.

Wie definierst Du Journalismus? Was ist für Dich guter Journalismus? Worin unterscheidet sich Dein Blick aus journalistischer Perspektive von der Betrachtungsweise anderer Journalisten?

Journalismus bedeutet, über das zu berichten, was passiert. Objektiv. Eigene Meinung oder Emotionen haben da nichts zu suchen. Guter Journalismus ist eigentlich sehr einfach. Worin sich meine Perspektive von der der Kollegen unterscheidet, das ist schwer zu sagen. Ich kann aber nicht verhehlen, dass ich besorgt bin um meinen Berufsstand.

Was hat Dich bewegt, mit 50 Jahren ein Psychologiestudium an der Online-Universität zu beginnen? Welchen Mehrwert bildet es für Dich in Zukunft und im Kontext Deiner bisherigen Arbeit?

In meinem Leben habe ich zahlreiche unglaubliche, unverständliche, schreckliche, schöne, verstörende, niederschmetternde und nicht zu begreifende Situationen erlebt, um jetzt mal einige Adjektive zu nehmen. Und immer geht es um das latente Verhalten von Menschen. Psychologie ist per Definition die wissenschaftliche Lehre vom Erleben und Verhalten von Individuen in ihrer Umwelt. Jetzt fange ich an, vieles besser zu verstehen. Es verändert mich. Es macht Spass. Ein neues Universum öffnet sich. Jetzt, im 4. Semester, blicke ich schon ganz anders auf unsere Welt und den Zeitgeist. Z.B. kann ich eine Studie lesen, verstehen, wie sie aufgebaut ist, welche Parameter von den jeweiligen Wissenschaftlern gesetzt wurden, wie die Studie zustande gekommen ist und ob die Aussage der Autoren mit den Ergebnissen übereinstimmt. Das ist in diesen Zeiten sehr hilfreich. Wenn mir Kollegen sagen: Diese oder jene Studie hat das und das herausgefunden, dann frage ich sie, hast Du es selbst gelesen. Nein, haben sie natürlich nicht. Nur die Pressemitteilung dazu … Nach über 30 Jahren Journalismus hat man alles erlebt. Wirklich alles. Da ist es vielleicht auch Zeit, mal nach anderen Horizonten zu schauen.

Was wünschst Du Dir für künftige Journalisten-Generationen? Wenn Du etwas in der Ausbildung verändern könntest, was wäre es und worin liegen Deiner Meinung nach Versäumnis und Chance, um als Journalist an der Veränderung für die Gesellschaft mitzuwirken?

Künftigen Journalisten wünsche ich mehr naturwissenschaftliches Interesse und Verständnis, Offenheit und Neugierde. Journalisten haben, denke ich, nur eine begrenzte Chance, an der Veränderung einer Gesellschaft mitzuwirken. Es ist auch nicht ihre Aufgabe. Sie sollen objektiv, unabhängig und möglichst unideologisch berichten. Schon das alleine ist eine Monsteraufgabe, die immer schwerer wird. Ich kenne die Journalisten-Ausbildung nicht so gut. Wichtig ist, dass ein Journalist richtig bei sich ist, dass er weiss, wo er herkommt, dass er ein gutes soziales Umfeld pflegt und innerlich autonom bleibt. Schon allein das ist heutzutage schwierig.

Was liebst Du an Leipzig? Lieblingsorte, Menschen, Regionen, Essen, … Was hält jemanden in Sachsen, der die ganze Welt in vielen Facetten gesehen hat?

Ich lebe ja inzwischen etwas außerhalb von Leipzig. Nach all den Jahren Herumreisen ist mir klar geworden, dass ich mit meinem Heimatboden fest verbunden bin, ohne dass es mir wirklich bewusst war. Meine Erkenntnis war: um gut zu leben, brauche ich meinen Familien- und Bekanntenkreis, die Region, in der ich aufgewachsen bin, wo ich auch die Zwischentöne der Sprache verstehe. Die Welt draussen ist schön, ich bin gern dort. Es war und ist schön, sich alles zu erschliessen. Aber Kraft tankt man daheim. Mein Lieblings-Restaurant in Leipzig ist das «Shams» – ein afghanisches Restaurant. Wirklich cooles Essen gibt es dort. Die Welt.