Dr. Oliver Wünsch ist Partner bei Oliver Wyman und Experte im Krisenmanagement. Er war u.a. für den Internationalen Währungsfond in Washington tätig und mit der Re-Strukturierung der zypriotischen Finanzkrise betreut sowie mit der Leitung der Strategieabteilung der Finma. Zur Expertise von Dr. Wünsch zählt die Leitung von Transformationsprogrammen in verschiedenen Euro-Krisenländern. Er beschäftigt sich intensiv mit den Zusammenhängen von Finanzmärkten, Politik und Wirtschaft sowie mit aktuellen Entwicklungen im Finanzbereich. Dr. Wünsch war ausserdem als Lehrbeauftragter der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich tätig. In seiner Freizeit ist er am liebsten mit seinem Segelboot auf dem Meer unterwegs und steuert jeden Kurswechsel von Hand, ganz gleich, ob wetterbedingt oder auf eigenen Wunsch.
Was bedeutet Transformation für Dich?
Für mich ist Transformation gleichzusetzen mit dem Streben nach Gleichgewicht, Umstände ändern, seien sie technologischer, politischer oder persönlicher Natur. Strukturen müssen sich den neuen Umständen anpassen oder sie werden zerstört. Das ist Transformation und per se weder schlecht noch gefährlich. Leider produziert Transformation, auch wenn sie durchdacht durchgeführt wird, nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer. Diese Verluste sind real und können nicht einfach als ungerechtfertigte Ängste abgetan werden. Ansonsten entsteht Spaltung und Streit. Gerade bei den Transformationen, die sich auf gesellschaftlicher Ebene abzeichnen – so z.B. Klimawandel, Globalisierung. aber auch getrieben durch die Covid-Krise – müssen wir aufpassen, dass wir die Gesellschaft und damit unser Gemeinwissen nicht spalten. Diese Erkenntnis ist leider auf beiden Seiten des politischen Spektrums noch nicht angekommen.
Der Fintech-Experte Chris Skinner schreibt: «Geld war ursprünglich ein Kontrollmechanismus für die Regierungen der alten Sumerer, um die Bauern auf der Grundlage gemeinsamer Überzeugungen zu kontrollieren.» 1 Welche Rolle hat Geld Deiner Meinung nach in der heutigen Zeit und worin siehst Du die Zukunft des Geldes, insbesondere im Kontext zunehmender Digitalisierung?
Der leider kürzlich verstorbene Anthropologe David Graeber hat in seinem Buch «Debt – The first 5000 years» sehr schön hergeleitet, dass Geld mitnichten als Tauschinstrument «erfunden» wurde, sondern zur Bemessung und späteren Begleichung von Schulden – damals insbesondere gegenüber den Herrschern, die teure Kriege und ein teilweise ausuferndes Staatswesen finanzieren wollten. Ob die Schuldner die massgeblichen Überzeugungen wirklich teilten, darf bezweifelt werden… Indem die Herrscher – z.B. durch Besteuerung – Forderungen bzw. Schulden entstehen lassen konnten, wurden die Schuldner für die Realisation der Interessen der Herrscher bzw. zumindest die Finanzierung derselben zwangsverpflichtet. Damals wie heute erreicht der Staat dies über zwei Instrumente: i) die Hoheit über die Definition eines gesetzlichen Zahlungsmittels und ii) das Monopol über die Ausgabe desselben. Die zunehmende Digitalisierung wird auf absehbare Zeit die Rolle von physischem Bargeld weiter zurückdrängen. Die Frage ist aber, ob sich nicht-staatliche Digitalwährungen breiter durchsetzen. Im Gegensatz zum heutigen Fiat-Geld, welches der Staat bzw. seine Zentralbank theoretisch unbegrenzt ausgeben und wo er sein Monopol rechtlich verteidigen kann, braucht es bei vielen Digitalwährungen den Staat gar nicht. Die Geldmenge ist mathematisch beweisbar beschränkt (analog zu Gold, welches auf der Welt nur in begrenzten Mengen vorkommt). Dies ist einer der Gründe, warum Staaten auf Kryptowährungen so allergisch reagieren. Es ist aber noch zu früh, hier Prognosen zu machen.
Besteht aus Deiner Sicht ein Zusammenhang zwischen der Mobilität von Menschen und der finanziellen Bewertung von Immobilien?
Mobilität (Freiheit) und Immobilien (unbeweglicher Besitz) scheinen sich auf den ersten Blick hin zu widersprechen. Handkehrum sind aber Immobilien in Gegenden, in denen die Menschen aus privaten und geschäftlichen Gründen leben wollen, wahrscheinlich die einzigen, langfristig werthaltigen Assets. Insofern halte ich die Aussage, dass Immobilienbesitz eine Last sei und das Leben als Mieter so viel glücklicher, am Ende für eine Ausrede derjenigen, die sich nicht festlegen wollen oder können. Zudem ist für den Grossteil der mobilen Menschen die Miete eine der grössten Positionen im Budget. Ob man wirklich so viel freier ist, wenn man sich die Lebensbedingungen von Vermietern diktieren lässt, ist insbesondere in Regionen, die von Gentrifizierung betroffen sind, mehr als fraglich.
Man spricht oft von der Macht des Geldes. Was braucht es Deiner Ansicht nach, um eine bessere Macht- und Geldverteilung auf der Welt zu erzielen? Ist es überhaupt eine Frage des Geldes oder eher eine von menschlichen Werten?
Ich habe bei meiner Arbeit in entwickelten und Entwicklungsländern gelernt, dass die überwiegenden Teile des politischen Spektrums eine Ungleichverteilung von Vermögen und Einkommen akzeptieren, solange Vermögen und Einkommen legitim erreicht wurden und die Ungleichverteilung nicht dazu führt, dass ganze Gesellschaftsschichten abgehängt werden. Seit 2000 hat sich das weltweite Vermögen verdreifacht und ein Grossteil dieses Anstiegs ist begründet durch die Wertzunahme von Grund und Boden. Meiner Meinung nach wird dies zu einem der grössten sozialen Probleme der nächsten Jahrzehnte. Die Mehrheiten, die Initiativen zur Umverteilung von Immobilien heute zunehmend finden, sollten wir nicht ignorieren.
Was motiviert Dich, so viel, intensiv und zielgerichtet an der Bewältigung von internationalen Finanzkrisen mitzuwirken?
Wie viele Zürcher Ökonomiestudenten habe auch ich meine Karriere bei einer Grossbank begonnen. Grosse Organisationen liegen mir jedoch nicht. So kam ich über Umwege in mein heutiges Tätigkeitsgebiet: «Staatsfinanzen und Währungspolitik». Mich motiviert vor allem, wie man mit einem kleinen Team viel bewegen und damit (wenn man auf der richtigen Seite steht) für viele Menschen etwas Gutes erreichen kann.
Was begeistert Dich am Segeln?
Natur, Freiheit, Autonomie.
Siehst Du Gemeinsamkeiten in den Grundprinzipien vom Kurswechsel beim Segeln und im Umgang mit Geld, beispielsweise im Börsenhandel?
Beim Segeln lernt man ganz am Anfang: nie gegen die Natur, d.h. Wind und Strömung. Man könnte denken, dies liesse sich auch auf die Finanzmärkte übertragen. Interessanterweise haben die meisten Investoren, die in den letzten Jahren hohe Überrenditen erzielt haben, sich nicht an diesen Grundsatz gehalten. Heute sind die Finanzmärkte in den reiferen Märkten von den Zentralbanken dominiert, so dass das alte Regelwerk vielleicht nicht mehr gilt.
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